Mittwoch, 5. September 2012

Polonia


Als Polonia um die Mittagszeit ihr Haus verließ, musste sie für eine Weile blinzelnd im Garten stehen bleiben. Die Sonne brannte bereits gnadenlos auf das Land. Sie freute sich nicht auf den langen Weg, der ihr bevorstand. Polonias Kreis siedelte in der Zeit der Saat bis zur Ernte am Waldrand in einem der Baumhausdörfer. Die ausgehöhlten Stämme der gewaltigen Bäume baten eine angenehme Kühle an solch heißen Tagen. Wenn die Pflanzen anfingen zu sterben und die Kälte anbrach, zog ihr Kreis in die schützende Innenstadt. Gerade wollte Polonia sich zur großen Straße aufmachen, die dort hinführte, als Methel ihr hinterherlief. Methel war die Frau, die sie geboren hatte. „Polonia, du hast die Zweige vergessen! Und kannst du bitte auf dem Rückweg Eis beschaffen? Bitte?“ Methel hatte Tränen in den Augen und sprach nicht weiter. Die Namensträgerin ihres Kreises hatte seit mehreren Tagen schweres Fieber. Polonia hatte mitgehört, wie die anderen Hörigen sich ebenso große Sorgen machten wie Methel. Sie alle blieben im Haus bei Zelela und ließen die Arbeit sein.
Polonia nahm die Zweige, nickte und ging zügig ihres Weges. Es war so heiß, dass sie nicht wie üblich die Schönheit der Landschaft um sich her bewunderte. Sie fand es eigentlich sehr spannend, zuzusehen, wie die Bauern bei der Ernte Lieder sangen und riesige Wägen mit Obst und Gemüse füllten oder Kühe auf die Weide trieben, doch heute wollte sie schnell zum nördlichen Tempel, damit sie Zelela schon bald das Eis bringen konnte. Polonia wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war als sie endlich die vertrauten Umrisse der Innenstadt sah. Freudig schlug ihr Herz höher und sie machte noch größere Schritte.
Weit um den Tempel scharten sich die Verkaufsstände und Krämerläden. Es roch nach fein bearbeitetem Holz, getrockneten Früchten und frisch gekochtem Essen. Hier herrschte lauter Trubel von den Verkäufern, die ihre Ware anpriesen und Kindern, die zwischen den Ständen lachend umherliefen. Wie gern Polonia  hier geblieben wäre um die schönen Sachen genauer zu bewundern, doch sie lief weiter auf das höchste Bauwerk der Nordstadt zu, das bombastisch und ehrwürdig in den glühenden Himmel ragte. Sie war fast an den Toren, als ihr Blick doch auf einen kleinen düster wirkenden Stand fiel. Große starke Männer in dunklen Roben standen dicht beieinander und blickten finster in die fröhliche Menschenmasse. Einer der älteren rauchte eine Pfeife. Polonia konnte sich nicht erklären, warum diese Begebenheit sie so faszinierte. Wahrscheinlich, weil alles daran so unnormal war. Die dunkle Kleidung, die feindseligen Gesichter oder die Pfeife. Sie gab sich einen Ruck und öffnete die schweren Holztore.
Als sie diese hinter sich schloss, überschwemmte sie ein ehrfürchtiges Gefühl. Mit dem Krachen der Tore war ganz plötzlich all der laute Trubel und die sengende Hitze ausgesperrt. Im Tempel herrschte meditative Stille und eine befreiende Kühle. Polonias Ohren klingelten noch von dem Lärm und ihr Atem ging schwer als sie sich langsam und andächtig der großen Steinplatte näherte. Die Platte war so hoch wie ihr Baumhaus und mit Abstand das Schönste, das Polonia kannte. Sie war das letzte Stück Magie, das aus der Zeit der großen Hexenmeister übriggeblieben war. Mit jedem Augenzwinkern zeigten die gemeißelten Figuren eine andere Geschichte. Polonia hatte schon so oft versucht, ohne zu zwinkern die Geschichte zu verfolgen, doch sie schaffte es nie, das Ende zu sehen. Die einen sagten, die Götter würden damit auf die Fragen, die einem in der Seele brannten, beantworten. Andere wiederum, dass die Götter den Auserwählten die Zukunft und den rechten weg zeigten. Polonia legte die getrockneten Reisbeerzweige in die Glutschale vor der Platte. Sie knisterten fröhlich und hauchdünne Rauchschwaden schlängelten sich himmelwärts. Sie sah kleine gemeißelte Figuren, die merkwürdige Kleidung trugen. Sie standen in einer Reihe an einem Fluss und hielten Speere und Schwerter. Das mussten Soldaten sein. Polonia hatte Geschichten von ihnen gehört und Bilder von Schwertern in Büchern gesehen. Polonia dachte zuerst, dass der Fluss der Erris war, der Akiel und Erzen voneinander trennte, doch die Erde um den Fluss herum war tot und trist. An dem Fluss standen Menschen in Lumpen gekleidet mit Eimern in der Hand. Nein, das war nicht der Erris, Polonia hatte noch nie solche Menschen und so eine Erde gesehen. Sie war einmal mit ihrem Kreis bis an den großen Erris gereist. Sie war etwas enttäuscht, dass man das andere Ufer gar nicht sehen konnte, doch war es trotzdem eine wunderbare Zeit gewesen. Sie und die anderen Kinder ihres Kreises konnten von morgens bis abends an dem Wasser spielen. Einmal haben sie sogar ein paar Schritte auf den morschen Holzplanken gemacht, bis sie von den Erwachsenen erwischt wurden. Sie hat nie verstanden, warum sie so viel Ärger bekommen hatten, nur wegen etwas, das mal ein Viadukt war. Polonias Augen schweiften rasch in alle Richtungen der Platte, doch sie sah nur noch verschwommenes Grau. Sie kniff ihre brennenden Augen zu und öffnete sie wieder. Nun sah sie ein Bild von den Männern vor dem Tempel. Sie saßen um einen runden Tisch voller Karten. Doch Polonias Augen brannten noch immer, sodass sie beschloss, es für heute sein zu lassen. Sie kniete sich vor die vielen Kästchen und Vasen, die als Opfer vor der Platte verteilt waren, und schloss die Augen. Sie versuchte ihren Geist zu leeren und konzentrierte sich auf das leise Knistern der Glutschale. Sie wartete bis sie ein stärkendes Gefühl auf ihrem Scheitel verspürte.
„Oh ihr Götter, hört mein Flehen!“ Polonias Stimme wackelte und Tränen strömten über ihr Gesicht. „Zelela war eine gute Namensträgerin. Sie hat ihre Hörigen wie ihre eigenen Kinder behandelt. Vergebt unserem Kreis unsere schlechten Taten. Ihr habt uns schon einen Namensträger genommen, lasst Zelela in dieser Welt!“ Sie versuchte ihr Schluchzen zu unterdrücken und legte ihre Stirn auf den kalten Steinboden des Tempels.
„Wir danken dir, großer Waldgott, der du unser Schirmherr bist, dass du uns reichlich gibst. Gib auch den anderen Wäldnerkreisen genug um die tote Zeit zu überstehen. Wir danken dir, mächtiger Feuergott, dass du genug Sonne schenkst, damit die Früchte der Erde so reichlich gedeien. Ich bitte dich, bleib uns in der toten Zeit gnädig, dass wir nicht erfrieren. Wir danken dir, Wassergott, dass du die Erde und all ihre Kinder nährst, vergiss nicht unsere Brüder in der Wüste, die nach Erlösung lechzen. Bitte, ihr Götter, bleibt uns gnädig und verschont unsere Seelen vor Kummer.“
Polonia erhob sich langsam und blickte mit tränenverschwommenen Augen auf die mächtige Platte. Sie dachte für einen Moment, dass der Stein ein großes Feuer zeigte, dass sich aus Feldern und Wäldern erhob, doch als sie die Tränen wegwischte, war das Bild verschwunden und ein schöne Blumenwiese war zu sehen. Polonia hoffte, dass das ein gutes Zeichen war und machte sich auf den Rückweg. Sie öffnete die Tore und erneut traf sie die Hitze und der Lärm. Sie ging an den dunklen Männern und fröhlichen Händlern vorbei hinaus aufs Land. Bevor die gepflasterte Straße endete und der ausgetrampelte Pfad begann, der sie nachhause führen sollte, holte sie in dem kleinen robusten Eishaus ein paar handvoll Eisstücke und versprach dem Eismann für morgen Abend ein Körbchen Fuchspilze für ihn aufzubewahren.
Der Himmel hatte ein hübsches Lila angenommen als Polonia zuhause angekommen war. Sie trat in die dunkle wohlige Kühle und sah bei Zelelas Schlafplatz ein Licht brennen. Die Hörigen hatten sich alle um sie herum versammelt. Polonia spürte eine unangenehme Brise als sie näher trat. „Ich…Ich hab das Eis, Methel,“ sprach sie leise. Methel drehte sich um, sie hatte geweint, aber sah ruhig und friedlich aus.
„Die Götter haben entschieden, Polonia.“ Polonia stockte der Atem. „Aber…Aber ich hab doch...“ Ihre Stimme klang laut und schrill. Die anderen blickten auf und fingen an, sie zu beruhigen. „Es ist gut, mein Kind, das war wohl ihre Bestimmung. Die Götter sind weise und gnädig…“ Polonia wischte verärgert ihre Tränen weg. „Wenn sie gnädig wären, hätten sie unser Beten erhört! Zelela war noch so jung und musste so lange an ihrer Krankheit leiden, das ist nicht gerecht!“ Methel sah sie nun sehr streng an. „Die Götter sind groß, beleidige sie nicht und zweifle auch nicht an ihnen. Du bist noch zu jung um das zu verstehen!“ „Ich bin nicht zu jung! Ich bin nicht mehr an meinen Kreis gebunden und kann selbst über mich entscheiden!“ Polonia war so wütend, dass sie ganz vergessen hatte, wie traurig sie eigentlich war. „Hütet eure Zunge vor dem Angesicht des Leichnams unserer Namensträgerin!“ Corthal hatte sich erbost erhoben und nahm mit seiner gewaltigen Größe fast die ganze Höhe des Baumhauses ein. „Zelela ist friedlich in unserem Kreis verschieden, jetzt müssen wir an unsere Zukunft denken!“
Jaha erhob sich nun ebenso. Zelela hatte ihn als erstes von den Göttern in Empfang bekommen. Er war der einzige Namensträger, der diesem Kreis geblieben war. Seine Schwester Maha war schon im Kindbett gestorben. „Ich weiß, dass es nun meine Aufgabe sein wird, für uns zu sorgen, aber…“ Er stockte. Für eine Weile war nur das Rauschen der Blätter draußen zu hören, dann sprach Jaha weiter. „Ich kann das nicht. Ich wollte das auch nie!“ Er blickte in die Runde der Hörigen, wahrscheinlich gefasst auf heftige Antworten. „Ich habe vor einiger Zeit auf dem Markt vor dem Tempel ein Angebot bekommen, dass ich im südlichen Tempel bei den Mönchen leben könnte. Ich könnte da so viel lernen wie ich wollte und bereite mich für ein Leben im Dienst der Götter vor. Ich denke, dass das meine Bestimmung ist.“ Wieder blickte er unsicher in die erstaunten Gesichter. „Seht doch, ich meine…Unserem Kreis ist so viel Schmerz widerfahren. Zuerst ist Jiwain von uns gegangen, der erste Namensträger, dann Maha und jetzt Zelela! Das ist ein Zeichen. Ich muss herausfinden, warum die Götter diesen Weg für uns bestimmt haben.“
Nach Jahas Rede herrschte drückende Stille. Es schien wie eine Ewigkeit, als endlich der Hörigenälteste Qoto sagte: „Nun, Jaha, das ist wohl deine Bestimmung. Es ist unser aller Bestimmung. Wenn es keine Namensträger mehr gibt, werden sich die Hörigen an neue Kreise schließen müssen, so ist unser Gesetz.“
„Aber es gibt nicht mehr so viel Wäldner, wie sollen wir neue Kreise finden, wir wissen doch nichts von Feldarbeit oder Viehzucht!“ rief Methel ängstlich.
„Nein! Unser Kreis bleibt bestehen! Wir sind stolz auf das, was wir tun! Ich möchte meinen Namen an einen von euch weitergeben!“ Jahas Brust schwoll an und er schien um einen Zoll zu wachsen. „Polonia! Du sollst mein Erbe antreten. Du bist jung, klug, stark und hast einen eisernen Willen. Du wirst es schaffen, unseren Namen in Ehren zu halten. Hiermit benenne ich dich zu der Namensträgerin, Polonia Lutea!“
Polonia stand mit offenem Mund wie angewurzelt da und konnte kaum glauben, was sie da gehört hatte. Sie hatte noch nie gehört, dass ein Höriger zum Namensträger werden konnte. Einfach so.
„Meine Entscheidung steht fest. Wir richten morgen Zelelas Grab und ich werde mich auf den Weg zum südlichen Tempel machen. Von da an wird das alles dir gehören.“ Jaha ging raus zur Nachtwäsche, womit er die Unterhaltung wohl beenden wollte. Polonia stand immer noch in Schockstarre da. Qoto schlurfte mit einem sanftem Lächeln auf sie zu.
„Mein Kind, ich habe euch schon so oft von dem großen Waldbrand erzählt. Niemand hätte je gedacht, dass dieser mächtige Wald jemals vor irgendwas in die Knie gehen könnte. Doch in nur wenigen Tagen gab es kein Leben mehr. So schien es. Doch wenn ich mir nun unser wunderschönes Land ansehe,“ er schlurfte weiter zur offenen Tür und zeigte auf die Wipfel des prächtigen Waldes, der, wie es Polonia schien, kein Ende hatte. „Wenn ich es so sehe, dann ist aus der Asche dieses Grauens ein noch schönerer Wald entstanden. Verstehst du das, Polonia?“ Qotos trübe grauen Augen trafen auf die klaren schwarzen von Polonia.
„Ich habe verstanden“

Fenian


Kühler Westwind brachte in den Morgenstunden, von der Küste her, einen Hauch Meeresluft bis ins Landesinnere. Noch immer lag der Schimmer der Nacht über den dicht an dicht gedrängten Häusern Priaerias. Kein menschlicher Laut war zu hören, nur das stete Rauschen des Erris, zwischen den steilen Hängen der Schlucht, lag über der Stadt.
Im Süden Priaerias umschlossen die Baracken der Armenviertel den alten Stadtkern. Selbst hier war nun Ruhe eingekehrt, nur noch vereinzelt glomm im Inneren der Behausungen die Glut der Feuerstellen, die erst vor kurzem gelöscht wurden. Die Bevölkerung der Armenviertel verbrachte den Großteil der Nacht damit die vergessenen Überreste aus den Schmieden und Scheideanlagen der inneren Stadt aufzusammeln. Am Tag versuchten sie aus ihren Errungenschaften noch etwas Verwertbares herauszusuchen. Es war ihr einziger Weg zu überleben, denn in Erzen musste man von dem Leben was aus der Erde gewonnen wurde. Metall, Erz oder andere wertvolle Bodenschätze.
In den Schatten der Gassen lag noch tiefe Dunkelheit, als sich ein Schatten aus einer der Baracken löste. Die schlanke Gestalt eines Jungen kletterte aus einem Fenster ohne einen Laut zu verursachen. Vorsichtig blickte er die Gasse entlang. Nichts regte sich. Mit einem erleichterten Gefühl stieg er schnell über ein paar Kisten auf das Dach des winzigen Wohnhauses; leises Knarren begleitete seinen Aufstieg.  Geschickt balancierte er auf dem Schmalen Pfad des Daches, der ihn tragen konnte und ließ sich darauf nieder. Seufzend blickte der Junge nach Osten in Richtung der Berge. Wartend. Wartend darauf, dass die Sonne aufging, ein neuer Tag anbrach und hoffentlich alles besser werden würde.
Im orangeroten Licht der Sonne leuchtete das kupferrote Haar des Jungen feurig lodernd, wie der Horizont. Es waren die einzigen Stunden in denen er einen Hauch von natürlicher Schönheit genießen konnte in dieser kargen, tristen Einöde. Sehnsuchtsvoll schweifte sein Blick nach Norden. Die andere Seite des Flusses war so nah und doch unerreichbar für ihn. Akiel, das Land der Harmonie und Eintracht. Man sagte, dass die Menschen dort mit der Natur zusammen lebten, sie verehrten und schätzten. Tiefe Sehnsucht stieg in dem Jungen auf. Er wünschte sich nichts sehnlicher als ein einziges Mal zu sehen, wie wundervoll es dort sein müsste.
Leise summend beobachtete er den Sonnenaufgang. Fragmente eines Liedes waren in seiner Erinnerung verhaftet, die er nicht vergessen konnte. Zarte Klänge, die so schnell verflogen waren, wie der kühle Wind der erneut aufbrandete. Zitternd schlang er seine Arme um sich, doch die Kälte drang tiefer. Bald schon würde es wieder anders sein. Schon in ein paar Stunden würde die Sonne so unerbittlich wie jeden Tag auf Erzen strahlen, dass jeder Schritt eine Qual wurde.
Lautes poltern unter ihm riss den Jungen aus seinen Gedanken. Seine Familie musste aufgewacht sein. Eilig stieg er über die Kisten hinter der Hütte vom Dach, das knacken der morschen Hölzer unter ihm ließ ihn schneller hinunter klettern. Vorsichtig versuchte er durch das Fenster seines Zimmers zurück in ihre Hütte zu klettern, doch noch ehe er wirklich hindurch war öffnete sich die Zimmertür. Die dunkle Silhouette seiner Mutter stand in der Tür, ihre Arme waren vor der Brust verschränkt. Selbst im fahlen Licht der aufgehenden Sonne konnte er erkennen, wie verärgert sie war. „Fenian! Was machst du da?“, wollte sie fast schon zu ruhig wissen. „Ich wollte nur –“, setzte der Junge kleinlaut an, doch seine Mutter Skara fiel ihm ins Wort. „Mir ist schon klar was du wolltest. Fenian, du bist wirklich schon zu alt dafür dich nachts herauszuschleichen und die Nacht auf unserem Dach zu verbringen. Meinst du nicht? … Warum kannst du nicht wie die anderen jungen Männer in deinem Alter sein und dir endlich Arbeit suchen?“ Tiefer Kummer schwang in ihren Worten mit. Sie machte sich Sorgen um ihn, das wusste Fenian, aber was konnte er denn schon tun? Alle anderen Jungen die in ihrer Nachbarschaft lebten erlernten das Handwerk ihres Vaters, aber seiner weigerte sich strickt ihn mit sich zu nehmen. Er wusste eh nicht, was so schwer daran war Metall und Schrott zu sammeln um es einzuschmelzen, oder etwas Neues daraus zu machen. Es interessierte ihn auch nicht.
Liebevoll legte Skara ihrem Sohn eine Hand auf die Wange. „Komm mit Fenian, ich habe unser Frühstück vorbereitet, aber sei jetzt leise Diyar schläft noch.“ Mit einem besänftigenden Lächeln verließ sie wieder das Zimmer. Unschlüssig blieb Fenian noch einen Moment stehen.  Er wollte seiner Mutter keinen Kummer bereiten, doch Fenian wusste nicht, wie er an Arbeit kommen sollte. Er hatte es schon versucht, er war ins Zentrum gegangen und hatte dort bei fast jedem Handwerker nachgefragt ob er jemanden brauchte. Doch niemand war interessiert gewesen. Sie hatten gelacht und ihn aus ihren Werkstätten geworfen. Wer brauchte auch schon einen Jungen aus dem Armenviertel, wenn sich selbst Söhne der gut gestellten Familien darum stritten Arbeit zu finden.
Seufzend setzte Fenian sich an den einzigen Tisch in dem kleinen Raum, der ihr Wohn- und Kochbereich war.  Skara hatte bereits drei Schüsseln darauf verteilt in den sie eine zähe, klebrige Masse füllte. Er wollte gar nicht wissen, was es an diesem Tag war. Schwere Schritte hallten zwischen den metallenen Wänden wieder, als sein Vater aus der Schlafkammer seiner Eltern trat. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab, er hatte wohl auch in dieser Nacht kaum Schlaf gefunden. Fenian murmelte ein Guten Morgen während er hastig sein Frühstück aß. Grummelnd setzte sich Diyar an den Tisch, sein Blick schweifte unruhig durch den Raum. Missbilligend nahm er Notiz von seinem Sohn, der noch immer am Tisch saß.  „Was treibst du eigentlich die ganze Zeit?“, in seiner dunklen Stimme schwang ungehaltene schlechte Laune mit sich. „Vater, ich versuche so gut ich kann Arbeit zu finden! Glaube mir! Aber es ist schwer, wenn man die Leute um sich herum nicht kennt!“, resignierend schob Fenian die Reste seiner Mahlzeit in seiner Schüssel herum. „Dann geh raus und red mit ihnen! So schwer ist es auch nicht, du musst dich nur einmal darum bemühen! Aber wahrscheinlich spazierst du nur in der Gegend herum und träumst vor dich hin. Du musst endlich begreifen, dass diese Welt nur durch Fleiß und harte Arbeit zusammen gehalten werden kann!“
„Beruhige dich Liebster“, Skara legte sanft eine Hand auf Diyars Schulter und setzte sich zu ihm. „Fenian, warum gehst du nicht zum Fluss und versuchst heute frisches Wasser zu bekommen?“ Lächelnd redete sie weiter auf seinen Vater ein, doch mehr als unverständliches Grummeln bekam sie als Antwort nicht zurück.  Mit einem Seufzer stand der Junge auf und schnappte sich die zwei Eimer die an der Eingangstür standen. Klirrend schlugen sie gegeneinander, als er das Haus verließ.
Die zornverzerrte Stimme seines Vaters drang fast ungedämpft durch die dünnen Holzplatten der Tür, so dass Fenian jedes Wort des Streits seiner Eltern verstehen konnte. Sie streiten doch… wie immer, dachte der Junge innerlich seufzend. Sie geben mir gegenüber vor dass alles in Ordnung wäre, doch sobald ich die Tür hinter mir geschlossen habe, fangen sie wieder an sich zu zanken. Und wie so oft in letzter Zeit, war er der Auslöser für die Auseinandersetzungen seiner Eltern.
„Der Junge muss endlich lernen, dass er nicht ewig seine Füße unter unseren Tisch stellen kann, ohne etwas dafür zu tun!“, scheppernd krachte die Frühstücksschüssel auf die massive Tischplatte. Innerlich zuckte Fenian zusammen, so wütend hatte er seinen Vater selten erlebt.
„Warum zeigst du ihm dann nicht, wie er dir helfen kann? Er wird nicht so ungeschickt sein, wie du es immer prophezeist“, der versöhnliche Tonfall seiner Mutter sollte ihren Mann wohl beruhigen, doch genau das Gegenteil trat ein. „Er wird niemals als Sammler arbeiten können! Hast du dir deinen Sohn denn schon einmal genauer angesehen! Er ist doch viel zu gebrechlich und ungeschickt!  Kannst du ihn dir wirklich vorstellen, wie er an der Esse steht und versucht aus unseren Ausbeuten noch wertvolle Metalle zu gewinnen? Ich bitte dich Skara, sei ein einziges Mal ehrlich zu dir selbst! Er wird das nicht schaffen!“  Ein Schluchzen drang hinter der Tür hervor und tiefe Schuldgefühle überfluteten Fenian, wie die reißende Strömung des Erris im Frühjahr. Und wieder weinte seine Mutter, weil sie wusste, dass Vater recht hatte; auch Fenian wusste es. Er hatte sich schon früh damit abgefunden, dass er den Beruf seines Vaters nicht ergreifen konnte; sein Wunsch war es nie gewesen. Aber er musste arbeiten. Wenn ihm doch nur die Verarbeitung von Metall und Stahl liegen würde, dann wäre alles einfacher. Aber er war nicht dafür geschaffen. Die Arbeit in der Schmiede bereitete ihm Unbehagen. Er konnte noch so sehr versuchen aufzupassen, aber er fand keinen Zugang zur Arbeit seines Vaters. Beschämt blickte Fenian auf seine Hände, viel zu schmal und langfingrig für einen Erzer schlangen sie sich um die Henkel der Eimer. Das seltene Gefühl vom massiven Holz der Griffe erfüllte ihn mit Sehnsucht.
Für einen Moment lies der Junge seine Gedanken schweifen,  in eine Zukunft, die es nicht geben würde. Dort schrie die Erde in Erzen nicht nach Wasser und Nahrung, sondern erblühte in all ihrer Pracht, durch jadegrünes Gras und Blumen deren Farben vom leuchtendem goldgelb der Sonne bis zum strahlenden azurblau des Meeres reichten. Ein schwaches Seufzen erklang von den Lippen des Jungen. Wenn es doch nur wirklich so sein könnte… Aber er durfte sich nichts vormachen, denn die Wirklichkeit war grausam und hart.  Das verbrannte braun der Steppe fraß sich immer näher an die Stadt heran; nur noch dunkle, verdorrte Büschel Wüstengras leisteten der allumfassenden Einöde wiederstand. Manchmal glaubte Fenian von weit her das Singen von Vögeln zu hören, die in zarten Harmonien ihre schönen Melodien zwitscherten, doch er sah keinen einzigen. Als er klein war hatte seine Mutter immer gelacht und ihm gesagt was er doch für eine blühende Fantasie hatte, schließlich gab es schon seit Jahrzehnten keine Vögel mehr in Erzen, zumindest keine, die noch sangen. Doch für Fenian war es real gewesen. So real wie das Kreischen der Erde in den Mienen, wenn sich die Erzener tiefer in die Mienen gruben um auch noch das letzte bisschen Erz aus ihnen zu schürfen. Seine Seele brannte vor Schmerz, als ob es nicht die Erde, sondern sein Körper wäre in den die Schächte gegraben würden. Er hatte gelernt damit zu leben, auch wenn noch immer Tränen über seine Wangen liefen, wenn er, von der Stadtmauer aus, auf die verdorrten Ebenen blickte.
Aufbrandendes Gemurmel ließ Fenian aus seinen Gedanken hochschrecken und er sah sich wieder mit der Realität konfrontiert. Hinfort waren die Bilder von farbenprächtigen Landschaften –  vor ihm gab es nur noch die staubbedeckten Straßen des Armenviertels und die in wilder Hektik an ihm vorbeiziehenden Menschen. Ein letzter Seufzer entrang seinen Lippen, ehe der Junge sich geschickt seinen Weg durch die unruhige Masse bahnte. Er musste es heute schaffen zum Fluss zu gelangen, sonst würde sein Vater sicherlich noch wütender werden. Dabei wollte er keinem seiner Eltern Sorgen machen, doch egal was Fenian tat, so war es in den Augen seines Vaters nie genug.
Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg durch den Strom aus Menschen aller Altersklassen. Ein jeder wollte zum Fluss, doch nur die wenigsten schafften es auch. Die Soldaten, die der Militärrat abgestellt hatte, bewachten auf der gesamten Breite der Stadt den Fluss. Niemand konnte sich ihrem Blick entziehen.
Fenian kam gerade rechtzeitig an den Toren zur Schlucht an. Noch war der große Ansturm ausgeblieben, so dass er sich einen Platz weit vorne sichern konnte. Mit grimmigen Mienen bewachten die Soldaten die Absperrung, bis einer von ihnen vor die Menge trat. Mittlerweile hatte sich bereits ein ganzer Pulk hinter dem Jungen gebildet. In aller Ruhe lösten die Soldaten die Ketten von dem schweren Eisentor, während ein anderer aufzeichnete, wer am Wachposten vorbeiging um zum Fluss zu gelangen.  Barsch blaffte der Posten die Menschen an ihren Namen und den Wohnort zu nennen. „Fenian Carya, Östlicher Außenbezirk“, unruhig verlagerte der Junge sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Jedes Mal wenn er einem Soldaten gegenüber stand machte sich ein mulmiges Gefühl in ihm breit.   Er wollte endlich weiter gehen, doch der Wachposten hielt ihn auf. „Als was arbeitest du?“ Verdutzt blieb Fenian stehen. „Ich werde wohl den Beruf meines Vaters ergreifen“, antwortete er zögerlich. Er wusste nicht, wie viel er jemandem sagen sollte, den er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. „Wahrscheinlich…. Überlege dir zu uns zu kommen. Du scheinst das richtige Alter zu haben um bei uns anzufangen. Das Militär braucht immer junge Männer die unser Land unterstützen und auf dem richtigen Kurs halten.“ Das Lächeln, das um die Lippen des Mannes spielte, ließ einen kalten Schauer über den Rücken des Jungen laufen. Zum Militär…. Ob das das richtige wäre? Nachdenklich ging Fenian weiter, passierte das Tor und gelangte in das am meisten bewachte Gebiet der ganzen Stadt.
Vereinzelte büschel grüngrauen Grases und trockene Büsche trotzten eisern der brennenden Sonne. In ihrem flimmernden Licht erblickte er seit langem wieder die riesigen Ruinen der Brücken, die einst die beiden Teile Priaerias verbunden hatten. Noch immer ragten Teile der Brücken über die Hälfte des Erris und endeten im nirgendwo. Niemandem war es erlaubt sie zu betreten, angeblich war es zu gefährlich, doch die Menschen glaubten, dass sie es nicht Riskieren konnten, dass jemand doch auf die andere Seite gelangte. Niemand sollte fliehen können. Das größte Verbot dieses Landes war auch die größte Versuchung: Niemand betritt die Viadukte.
Nur ungern riss sich Fenian vom Anblick der imposanten Gebilde los um zum schmalen Abstieg der Schlucht zu hechten. Kantig, massiv und schwindelerregend hoch klaffte die Schlucht des Erris zwischen den Stadtteilen Akiel und Erzen.  Ein natürlicher Pfad, ausgetreten von all den Menschen, die tagtäglich hinunter und wieder herauf stiegen, führte an einer Seite der Schlucht nach unten. Er hatte kein Problem damit die große Höhe auszuhalten, doch andere, die niemanden hatten um diesen Gang für sie zu erledigen, krallten sich in die Steinwände rechts von ihnen um nicht zu nah an den Abgrund zu kommen. Fast zehn Minuten dauerte der Abstieg, bis er endlich das Kiesbett des Erris erreichte und seine Eimer mit frischem Wasser füllen konnte. Zumindest war es so rein wie es eben sein konnte, wenn eine halbe Stadt ihren Unrat darin versenkte. Aber es war Wasser und das war dringender benötigt, als die Sorgen um mögliche Krankheiten.
Der Aufstieg war mit den vollen Eimern schwieriger und vor allem langwieriger als der Abstieg. Überall schwappte Wasser auf den Weg, ließ ihn erst nur feucht, dann immer glitschiger und rutschiger werden, so dass am Ende der  Menschenschlange immer öfter jemand wieder den Berg nach unten fiel. Fenian war dankbar für seinen Platz weit vorne in der Reihe, doch ihm taten die leid, die wieder nach unten gehen mussten um neues Wasser zu holen.  Man hätte alles so viel einfacher regeln können, wenn man Soldaten dafür angestellt hätte, die  große Mengen Wasser mit Seilwinden nach oben gezogen hätten, aber sattdessen musste jeder den beschwerlichen Weg selbst gehen.
Erschöpft schleppte Fenian sich den Rest des Weges nach Hause, seine Füße brannten bei jedem Schritt und seine Arme waren schwer. Doch damit war es wohl noch nicht genug. Als der Junge die Tür hinter sich schloss, war die schlechte Laune seines Vaters  vom Morgen noch immer nicht verflogen, obwohl es schon längst Mittag  war.  „Wie schön, dass du wieder da bist!“, freudig umarmte ihn seine Mutter und nahm die Wassereimer entgegen. „Gott sei Dank hast du es geschafft. Unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu.“ Vorsichtig schüttete seine Mutter den Inhalt der Eimer in ein großes Vorratsfass. Mit den paar Litern war es zwar noch lange nicht wieder genügend gefüllt, aber sie würden wenigstens zwei oder drei Tage aushalten, falls sie nicht eher wieder zum Fluss gelangen konnten. „Ja, wie schön dass du da bist und so pünktlich zum Essen…“, grummelte Diyar fast unverständlich vor sich hin, in seinen Händen hielt er ein Arbeitsstück an dem er wohl den Morgen über gearbeitet hatte. Irgendeine Art von Metall wahrscheinlich, die er versuchte zu analysieren, was sie wert war. „Es war wieder sehr viel los, so wie immer“, ungezwungen versuchte Fenian das Thema des Gesprächs zu wechseln. „All die Menschen… es ist jedes Mal aufs neue unglaublich…“
„Unglaublich ist vor allem, dass du dabei warst. Andere Jungs in deinem Alter arbeiten um diese Uhrzeit nämlich um ihre Familien zu unterstützen und ihnen einen Pass zu finanzieren, damit sie dieses Chaos nicht länger mitmachen müssen.“ Hinter sich hörte Fenian, wie seine Mutter scharf die Luft einsog. Er wusste, dass es um einiges einfacher wäre, hätten sie einen Pass um die öffentliche Wasserversorgung der Brunnen nutzen zu können, doch sie verdienten nicht genug Geld dafür. Nicht einmal wenn Fenian wie sein Vater als Sammler arbeiten würde würden sie genug verdienen damit sie die Abgaben für einen Pass zahlen könnten.
„Um so viel Geld zu verdienen müsste ich schon zum Militär gehen“, der Sarkasmus in Fenians Stimme so offensichtlich, dass er selbst für einen Moment erstaunt war, dass er es überhaupt gesagt hatte. Aber was hatte der Wachposten gesagt? Sie suchten noch nach neuen Rekruten. Nur einen Moment trafen sich die Blicke von Vater und Sohn, ehe beide sich fast gleichzeitig erhoben.
„Du weißt was das bedeuten würde Vater“, fast bedrohlich klang die sonst so sanfte Stimme des Jungen, als er sich zu seinem Zimmer wandte.
„Ich weiß mein Sohn“, seit langem schwang zum ersten mal wieder so etwas wie Zuneigung in der Stimme Diyars mit. „Aber was willst du sonst tun? Du musst dir eingestehen, dass dich in unserer Umgebung niemand so akzeptiert wie du bist. Sie sehen dich nicht wie wir. Du bist ein wirklich kluger Junge, aber hier wird Muskelkraft mehr geschätzt als Intelligenz. Und dort wirst du lernen können. Viel lernen. Über Strategie und Kriegskunst und über die Geschichte! Glaub mir, es wird das beste sein, wenn du – “, das leise Schluchzen seiner Frau ließ Diyar kurz innehalten. „ – wenn du zum Militär gehst. Dort bekommst du dann endlich mal ein wenig Fleisch auf deine Knochen.“
„Hast du gar nichts dazu zu sagen Mutter?“, sogleich bereute Fenian seinen harschen Tonfall, denn wieder erschütterten lautlose Schluchzer den Körper seiner Mutter.  „Es tut mir leid….“, vorsichtig legte er seine Arme um die Schultern seiner Mutter um sie zu trösten. „Ich werde dich vermissen, Mutter. Du wirst immer in meinem Herzen sein.“ Feuchte Tränen drangen durch das dünne Hemd auf seine Haut, während seine Mutter an seiner Schulter weinte. Die Entscheidung war gefallen in dem Moment als Fenian die Worte ausgesprochen hatte. Sein Vater würde nicht zulassen, dass er es nicht tun würde und seine Familie hatte das Geld das er dort verdienen würde bitter nötig.  „Es tut mir so leid…“, bevor Tränen in seine Augen stiegen wandte sich Fenian von seiner Familie ab und huschte wie ein Schatten in sein Zimmer. Er wollte allein sein. Er musste packen. Je schneller er von hier verschwunden war, desto eher konnte er vielleicht begreifen, was er eigentlich tat. Nie war es für ihn eine Option gewesen zum Militär zu gehen und jetzt war er drauf und dran genau dorthin zu gehen. Doch es war nicht für ihn. Es war für seine Mutter, seinen Vater. Sie sollten ein besseres Leben führen können, als dieses. Vielleicht kann ich so viel Geld zur Seite legen, dass ich ihnen irgendwann ein eigenes Haus kaufen kann. Eines in der inneren Stadt, dann wäre so vieles leichter. Vorsichtig packte Fenian die wenigen Habseligkeiten die er besaß in eine Tasche. Es war nicht viel, ein paar Kleidungsstücke und zwei Bücher die er von seinem Vater bekommen hatte, als er noch klein war. Voller Begeisterung hatte er damals die Buchstaben angestarrt, bis sein Vater ihm lesen beigebracht hatte, zumindest so gut er es konnte. Mittlerweile konnte Fenian gut lesen und auch schreiben hatte er mit einem Stock auf der staubigen Straße vor ihrem Haus geübt. Auch deswegen sahen ihn die Bewohner der Armenviertel skeptisch an. Ein Junge der lesen und schreiben konnte war hier etwas so ungewöhnliches, dass sie ihn mit Misstrauen straften.
Ein letztes Mal ließ Fenian seinen Blick über den winzigen, abgetrennten Raum schweifen, in dem er seine gesamte Kindheit und Jugend verbracht hatte. Das schmale Bett, der kleine Tisch mit dem niedrigen Stuhl, auf dem er gesessen hatte um die Bücher seines Vaters immer und immer wieder zu lesen, und die Kommode, in der nun nichts mehr war, außer dem Staub, der alles überzog. Noch einmal atmete er tief durch, ehe er sich die Tasche über die Schulter warf und wieder in den Wohnraum trat. Seine Mutter war noch immer in Tränen aufgelöst. Sie saß neben seinem Vater und hatte ihr Gesicht in ihren Händen vergraben, während er ihr beruhigend über den Rücken strich. Gequält brachte Fenian ein aufmunterndes Lächeln für seine Mutter zustande. „Alles wird gut, Mutter. Ich komme euch so bald wie möglich besuchen. Mir wird es gut gehen, das verspreche ich dir. Mir wird es an nichts fehlen und euch auch bald nicht mehr. Ich schicke euch so viel Geld, wie ich entbehren kann und das wird eine Menge sein, glaub mir!“ Mit tränenverquollenen Augen sah seine Mutter auf, als er ihr einen Abschiedskuss auf die Stirn gab. „Gib gut auf dich Acht, Fenian! Und komm heil wieder zurück zu mir!“
„Das verspreche ich dir.“
„Junge…. Pass auf dich auf.“ Verwirrt blickte Fenian zu seinem Vater, in seinen Augen standen ungeweinte Tränen.
„Das werde ich.“
Gerührt von der Sorge seiner Eltern verließ Fenian ihr Haus. Das war nun nicht mehr sein zu Hause. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend blickte Fenian in Richtung der Inneren Stadt. Dort musste er nun hin, zum Regierungspalast Erzens. Dort musste er sich bewerben und hoffen. Hoffen darauf, dass er, trotz des Widerwillens im innersten seiner Seele, aufgenommen wurde.  Widerstrebend setzte er einen Fuß vor den anderen, immer weiter. Auf in eine ungewisse Zukunft.